Die deutsche Grammatik bietet vor allem Migranten eine Menge Stolpersteine. Doch wer denkt, Muttersprachler seien davor gefeit, irrt. Oft schleichen sich Fehler in Unterhaltungen ein, ohne dass wir sie bemerken. Wer seinen Blog nicht nur für Schüler schreibt, sondern auch gern das höhere Bildungsniveau ansprechen möchte, sollte sich eventuell mit dem Thema Grammatik noch einmal beschäftigen.
Ein bekanntes Buch, in welchem diese Stolpersteine thematisiert werden, ist “Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod”. Was mit diesem Titel überhaupt gemeint ist, thematisiere ich in den folgenden Abschnitten.
Inhalt
Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod
Viele kennen den Titel dieser Buchreihe, die erstmals 2004 auf dem deutschen Büchermarkt erschien. Der Autor, Bastian Sick, ist Verfasser der Kolumne Zwiebelfisch (Spiegel Online), aus welcher die Buchreihe entstand. Aber was bedeutet dieser Satz eigentlich? Er muss wohl etwas mit Grammatik zu tun haben.
Die vier Fälle im Deutschen
Viele werden sich an dieser Stelle mit Grauen an ihre Schulzeit erinnern, als dieses Thema zu oft, zu lang, zu früh und zu unverständlich erklärt wurde. Man hat die vier Fälle für die nächste Klassenarbeit auswendig gelernt und danach schnell wieder vergessen – wie so vieles, was die Schule einem eigentlich fürs Leben beibringen sollte. Hier also die Gelegenheit, es noch einmal zu versuchen und seine Grammatik etwas zu verbessern.
1. Fall: Der Nominativ
Der wohl einfachste Fall ist der Nominativ, da es sich hierbei um die Grundform des Nomens handelt. Um den Nominativ in einem Satz zu finden, fragt man nach ihm mit „wer oder was?“.
Beispiel:
Der Mann trinkt einen Kaffee.
Wer oder was trinkt einen Kaffee? Der Mann.
Der Hase hoppelt über die Wiesen.
Wer oder was hoppelt über die Wiese? Der Hase.
Das Nomen wird dabei so verwendet, wie es auch im Wörterbuch zu finden ist. Mit dem zu ihm gehörenden Artikel.
2. Fall: Der Genitiv
Der Genitiv wird benutzt, um Zugehörigkeiten zu klären. Meist handelt es sich bei einem Genitiv um ein Objekt (Genitivobjekt). Um herauszufinden, wessen Objekt es ist, fragt man nach dem Genitiv mit „wessen?“.
Beispiel:
Der Dieb klaute die Tasche der Frau.
Wessen Tasche klaute der Dieb? Die (Tasche) der Frau.
Das Fahrrad des Kindes ist rot.
Wessen Fahrrad ist rot? Das (Fahrrad) des Kindes.
Hier verändert sich der Artikel, sowie bei der männlichen und sächlichen Form das Nomen.
männlich (Artikel + Nomen):
der Mann ⇒ des Mannes; der Stein ⇒ des Steines; der Wagen ⇒ des Wagens
weiblich (nur Artikel):
die Frau ⇒ der Frau; die Suppe ⇒ der Suppe; die Reise ⇒ der Reise
sächlich (Artikel + Nomen):
das Kind ⇒ des Kindes; das Auto ⇒ des Autos; das Haus ⇒ des Hauses
Mehrzahl (nur Artikel):
die Menschen ⇒ der Menschen; die Tage ⇒ der Tage
Durch die Veränderung der Artikel UND des Nomens, ist der Genitiv der schwierigste zu bildende Fall.
3. Fall: Der Dativ
Nach bestimmten Verben oder Präpositionen benutzt man den Dativ. Mit Hilfe der Frage „wem oder was?“ erfragt man das Dativobjekt.
Beispiel:
Das Kind glaubt den Eltern.
Wem oder was glaubt das Kind? Den Eltern.
Der Mann sitzt neben dem Affen.
Neben wem oder was sitzt der Mann? Neben dem Affen.
Hier verändert sich jeweils der Artikel des Nomens:
männlich (“der” wird zu “dem”):
der Mann ⇒ dem Mann; der Schirm ⇒ dem Schirm
weiblich (“die” wird zu “der”):
die Frau ⇒ der Frau; die Frage ⇒ der Frage
sächlich (“das” wird zu “dem”):
das Kind ⇒ dem Kind; das Auto ⇒ dem Auto
Mehrzahl (“die” wird zu “den”):
die Menschen ⇒ den Menschen; die Bäume ⇒ den Bäumen
4. Fall: Der Akkusativ
Den Akkusativ benutzt man ebenfalls nach bestimmten Verben oder Präpositionen. Man stellt die Frage nach dem Akkusativobjekt mit „wen oder was?“.
Beispiel:
Das Kind kauft einen Lolli.
Wen oder was kauft das Kind? Einen Lolli.
Die Frau besucht ihre Eltern?
Wen oder was besucht die Frau? Ihre Eltern.
Hier ändert sich der Artikel nur vor männlichen Nomen:
männlich:
der Mann ⇒ den Mann; der Platz ⇒ den Platz
weiblich:
die Frau ⇒ die Frau, die Sonne ⇒ die Sonne
sächlich:
das Kind ⇒ das Kind; das Haus ⇒ das Haus
Mehrzahl:
die Eltern ⇒ die Eltern; die Bäume ⇒ die Bäume
Rein vom Standpunkt der Bildung aus, ist der Akkusativ nach dem Nominativ der einfachste Fall.
Übersicht:
Fall | Frage | Beispiel männlich | Beispiel weiblich | Beispiel sächlich | Beispiel Mehrzahl |
1. Fall: Nominativ | Wer oder was? | Der Mann | Die Frau | Das Kind | Die Eltern |
2. Fall: Genitiv | Wessen? | Des Mannes | Der Frau | Des Kindes | Der Eltern |
3. Fall: Dativ | Wem oder was? | Dem Mann | Der Frau | Dem Kind | Den Eltern |
4. Fall: Akkusativ | Wen oder was? | Den Mann | Die Frau | Das Kind | Die Eltern |
Der Mann besuchte mit seiner Frau ein Restaurant um ihren Geburtstag zu feiern.
Wer oder was besuchte […]? Der Mann (Nominativ)
[…] um wessen Geburtstag zu feiern? Ihren (Geburtstag) (Genitiv)
Mit wem oder was besuchte […]? Mit seiner Frau (Dativ)
Wen oder was besuchte der Mann […]? Ein Restaurant (Akkusativ)
Zur Bedeutung des Buchtitels
Was bedeutet denn nun der Buchtitel „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“? Ganz einfach: im Zuge der „Verlotterung“ der deutschen Sprache, passiert es immer häufiger, dass statt des grammatikalisch richtigen Genitivs, der Dativ verwendet wird. Meist erkennen wir nicht, dass es sich hierbei um einen Fehler in der Grammatik handelt.
Beispiel:
Ich gehe mit dem Bruder von Susi aus (Mit wem gehst du aus? Mit dem Bruder von Susi à Dativ)
Statt:
Ich gehe mit Susis Bruder aus (Mit wessen Bruder gehst du aus? Mit Susis Bruder à Genitiv)
Oder
Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod (Wem sein Tod ist der Dativ? Dem Genitiv (sein Tod) à Dativ)
Statt
Der Dativ ist des Genitivs Tod (Wessen Tod ist der Dativ? Des Genitivs à Genitiv)
Kaum einer benutzt noch Sätze, in denen sich ein Genitivobjekt befindet. Daher scheint der Genitiv allmählich auszusterben. Auch das gern gesagte „wegen mir“ ist grammatikalisch falsch. Es müsste „meinetwegen“ heißen. Ob der Genitiv deshalb so unbeliebt ist, weil er am kompliziertesten zu bilden ist, kann nur vermutet werden.
Ich bin mir nicht sicher, ob sich die Entwicklung vom Genitiv hin zum Dativ in unserer Sprache noch einmal umkehren lässt. Aber vielleicht sprechen einige Leser nun hin und wieder etwas bewusster und lassen auch den Genitiv gelegentlich mal einfließen.
- Über den Autor
- Aktuelle Beiträge
Julia Ullrich ist Teil des Redaktions-Teams von Text-Center.com. Sie schreibt außerdem für die Digital-Agentur Awantego.com .